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Fünfzig Heldinnen

50 Frauen (und ein paar Männer), die halfen, das Stimmrecht für die Frauen einzuführen.

Salome Müller und Philipp Loser
Aktualisiert am 1. Februar 2021
Am 7. Februar 2021 ist es genau fünfzig Jahre her, seit die Schweizer Männer den Schweizer Frauen das Stimmrecht gewährt haben. Der Kampf um das Frauenstimmrecht begann aber schon viel früher, hundert Jahre früher, und er wurde von Hunderten engagierten Frauen und Männern geführt. Aus Anlass des Jubiläums: Fünfzig ausgewählte Heldinnen (und ein paar Helden), ohne die es das Frauenstimmrecht wahrscheinlich heute noch nicht geben würde.
Marie Goegg-Pouchoulin
1826–1899
Ein Leben für die Rechte der Frau – und das im 19. Jahrhundert. Marie Goegg-Pouchoulin gründete 1868 die «Association internationale des femmes». Die Organisation strebte die Gleichstellung der Geschlechter im Job, im Bildungswesen und in rechtlichen Themen an. Ihre Nachfolgeorganisation «Association pour la défense des droits de la femme» konzentrierte sich auf Vorstösse für die zivilrechtliche Gleichstellung. Mit einer Frauenpetition erreichte Goegg-Pouchoulin im Jahr 1872 die Zulassung von Frauen an die Universität Genf.
Julie von May von Rued
1808–1875
Die Bernerin Julie von May war über 60 Jahre alt, als sie Mitglied der Association internationale des femmes wurde. Sie sagte 1870 an der Generalversammlung: «Wir betrachten die Rechtsgleichheit der Frauen mit den Männern als eines der wichtigsten und dringendsten Anliegen.» Frauen hätten schliesslich dieselben Pflichten wie Männer. Von May war überzeugt, dass die Diskriminierung von Frauen der Grund vieler sozialer Probleme ihrer Zeit war. Sie forderte in einem Katalog: gleiche Ausbildung, gleiche Besteuerung, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Gleichstellung im Erbrecht, Eigentumsrecht, Verwaltungs- und Verfügungsrecht sowie Gleichberechtigung im Ehe- und Scheidungsrecht.
Elise Honegger
1839–1912
Ab 1879 war Elise Honegger Herausgeberin und Redaktorin der «Schweizer Frauen-Zeitung» in St. Gallen – der ersten Frauenzeitschrift in der Schweiz, die neben Mode und Haushalt auch politische Themen behandelte. Honegger informierte über ihre Zeitung die Leserinnen über Rechte und Möglichkeiten, indem etwa der Unterschied zwischen Gütertrennung und Güterverbindung erklärt wurde. Auf Honeggers Initiative schlossen sich 1885 die schweizerischen Frauenorganisationen zum Schweizer Frauen-Verband zusammen. Honegger war die erste Präsidentin.
Gertrude Guillaume-Schack
1845–1903
Die deutsche Aktivistin Gertrude Guillaume-Schack gründete in den Jahren 1886 und 1887 mehrere Organisationen für Arbeiterinnen in Dienstleistungsberufen, weil diese in den bestehenden Gewerkschaften nicht vertreten waren. Daraus entstanden Arbeiterinnenvereine in St. Gallen, Winterthur, Zürich, Basel und Bern. 1890 schlossen sich die Arbeiterinnenvereine zum Verband schweizerischer Arbeiterinnenvereine zusammen. Guillaume-Schack redete öffentlich und vor Arbeiterinnen über Sexualität, thematisierte das Elend von Prostituierten und betonte den Zusammenhang von weiblicher Armut und Prostitution. Guillaume-Schack starb im Alter von 58 Jahren in England.
Helene von Mülinen
1850–1924
Helene von Mülinen wuchs in einer strengen Patrizierfamilie in Bern auf und wurde daran gehindert, einen akademischen Abschluss zu erwerben – weil sie eine Frau war. 1899 gründete von Mülinen den Bund Schweizerischer Frauenvereine (BSF) mit, der als politischer Dachverband die Interessen der Frauen bei den Behörden vertreten sollte. Von Mülinen war von 1900 bis 1904 die erste Präsidentin, ab 1908 forderte sie das Frauenstimmrecht. Sie gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der Schweizer Frauenbewegung.
Emilie Kempin-Spyri
1853–1901
1883 immatrikulierte sich Emilie Kempin-Spyri als erste Schweizerin an einer juristischen Fakultät. 1887 promovierte sie in Zürich und war europaweit die erste Doktorin der Rechte. Weil ihr als Frau das Wahlrecht fehlte, wurde ihr das Anwaltspatent verwehrt. Kempin-Spyri forderte mit ihrer Klage vor dem Bundesgericht eine Neubewertung des Artikels 4 der Bundesverfassung, wonach jeder Schweizer vor dem Gesetz gleich sei: Mit dem Begriff «Schweizer» seien sowohl Männer als auch Frauen gemeint. Kempin-Spyris Klage wurde abgewiesen mit der Begründung, diese Sichtweise sei «ebenso neu als kühn». Kempin-Spyri wanderte mit ihrer Familie nach New York aus und erhielt später eine Sonderbewilligung, mit der sie an der Universität Zürich unterrichten durfte.
Emma Pieczynska-Reichenbach
1854–1927
Emma Pieczynska-Reichenbach war mit fünf Vollwaise und wuchs bei Pflegeeltern in Genf und Neuenburg auf. In Genf holte sie die Matura nach und studierte Medizin. 1891 gründete Pieczynska-Reichenbach die Genfer Frauenunion, 1899 mit ihrer Lebenspartnerin Helene von Mülinen den Bund Schweizerischer Frauenvereine.
Clara Zetkin
1857–1933
Die deutsche Marxistin und SPD-Politikerin war zuerst gegen, dann für das Frauenstimmrecht. Zetkin war massgeblich verantwortlich dafür, dass die SP die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in der eigenen Partei erhob. 1882 lebte Zetkin in Zürich. 1915 organisierte sie in Bern die Internationale Konferenz sozialistischer Frauen gegen den Krieg. Als die NSDAP in Deutschland die Macht ergriff, emigrierte Zetkin in die Sowjetunion. 1933 starb sie im Alter von 75 Jahren.
Carl Hilty
1833–1909
Die Sache sei klar, schrieb Carl Hilty im Jahr 1897. Der Staat schade sich selber, wenn er «die ganze Hälfte seiner Bürger des Rechts beraube, sich für die öffentlichen Interessen zu interessieren». Der Staatsrechtler und linksfreisinnige Nationalrat prägte um die Jahrhundertwende die Diskussion um das Frauenstimmrecht. Für ihn war sie der «praktische Kern der Frauenfrage». Er plädierte dafür, das Stimmrecht in Etappen einzuführen, und spurte damit laut Historiker Werner Seitz die Argumentation der Frauenverbände und vieler Politiker der kommenden Jahrzehnte vor.
Meta von Salis
1855–1929
«Entweder gleiche Gesetze, gleiche Rechte, gleiche Pflichten und Strafen, gleiche unparteiische Richter oder der moralische und physische Niedergang der Menschheit nimmt unerbittlich seinen Fortgang.» Meta von Salis war die erste Schweizerin, die öffentlich das Frauenstimmrecht forderte. Sie tat das in einem Aufsatz in der Zeitung «Züricher Post» 1887 und später in öffentlichen Vorträgen, die allerdings nur schlecht besucht waren und während denen sie ausgepfiffen wurde. Sie liess sich davon nicht entmutigen.
Lucy Dutoit
1868–1937
Lucy Dutoit war eine der ersten Frauen im Kanton Waadt, die sich für das Frauenstimmrecht engagierte. Sie gründete 1907 die «Association vaudoise pour le suffrage féminin» mit, den Waadtländer Verein für das Frauenstimmrecht, und war von 1916 bis 1932 dessen Präsidentin. Dutoit unterrichtete in Lausanne Deutsch an der privaten Ecole Vinet, der ersten Sekundarschule für Mädchen im Kanton Waadt. Zwischen 1924 und 1936 amtete Dutoit als Sekretärin des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht und sicherte wegen ihrer Sprachkenntnisse den Kontakt zur deutschsprachigen Schweiz.
Helene Stucki
1889–1988
Stucki war Pädagogin, befasste sich mit Kinderpsychologie und wollte junge Schülerinnen für eine gute Berufsbildung motivieren. Stucki sah darin den Weg zur Emanzipation. 1929 war sie an der Petition für das Frauenstimm- und -wahlrecht beteiligt und gehörte dem Vorstand des Bundes Schweizerischer Frauenvereine an. 1965 wurde Helene Stucki wegen ihrer Leistungen in der Erziehung des weiblichen Geschlechts zur Eherendoktorin der Universität Bern ernannt.
Gertrud Girard-Montet
1913–1989
Die Journalistin schrieb regelmässig Beiträge für die Zeitschrift «Femmes suisses et le mouvement féministe» und engagierte sich in der Stimmrechtsbewegung. Als die Schweiz 1968 die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnen wollte, gehörte Girard-Montet zu jener Gruppe von Frauen, die lauthals protestierte. Die Schweiz beabsichtigte, die Konvention unter Vorbehalt des fehlenden Frauenstimmrechts zu unterschreiben. Der Protest beschleunigte die Ausarbeitung einer eidgenössischen Abstimmungsvorlage, die schliesslich drei Jahre später an die Urne kam – und erfolgreich war.
Betty Farbstein-Ostersetzer
1873–1938
Als Ärztin engagierte sich Betty Farbstein-Ostersetzer für kostenlose Empfängnisverhütung und die Fristenlösung. Sie war Mitglied im Zürcher Arbeiterinnenverein und im Frauenstimmrechtsverein. Innerhalb der Arbeiterinnenbewegung löste sie heftigen Widerspruch aus, weil sie forderte, dass sich sozialistische und bürgerliche Frauenorganisationen zusammentun und gemeinsam für das Frauenstimmrecht kämpfen sollten. 1911 hielt Farbstein-Ostersetzer am ersten Internationalen Frauentag eine Rede. Nach dem 1. Weltkrieg war sie kaum mehr öffentlich präsent.
Gründung Schweizerischer Verband für Frauenstimmrecht
1909
Die Aktivistinnen Pauline Chaponnière-Chaix und Camille Vidart sowie Aktivist Auguste de Morsier waren 1909 an der Gründung des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht beteiligt. Der Verband zählte im Gründungsjahr nur 765 Frauen, die aber wichtige Verbindungen zur politischen Elite pflegten. Die Mitglieder waren oft ledig, besassen einen Universitätsabschluss und stammten meistens aus dem liberalen, protestantischen und städtischen Bürgertum. Der Verband begnügte sich aus Rücksicht auf die Männerwelt mit einer schrittweisen Erlangung neuer Rechte für Frauen. 1971 wurde er in den Schweizerischen Verband für Frauenrechte umbenannt.
Clara Ragaz
1874–1957
Historikerin Brigitte Studer nennt Clara Ragaz eine der «bedeutendsten Schweizer Pazifistinnen und Feministinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts». Die ausgebildete Lehrerin trat 1913 (kurz vor ihrem Mann) in die SP ein, gemeinsam traten sie wieder aus, als sich die SP zur militärischen Landesverteidigung bekannte. Ihr Wirken (sie gründete und präsidierte diverse Frauenorganisationen) folgte dem Gebot der christlichen Ethik. Daraus leitete sie ihr Engagement für eine gerechte Gesellschaft, für den Frieden und für das Recht der Frauen auf politische Partizipation ab. Letzteres begründete sie damit, dass die Frauen von ihrem biologischen Geschlecht her sanft und hingebungsvoll seien, was sie für den Kampf gegen Krieg und soziale Ungerechtigkeit prädestiniere, wie Studer schreibt.
Gertrud Woker
1878–1968
Erste Privatdozentin für Chemie an der Universität Bern, engagierte sich nach dem 1. Weltkrieg gegen Krieg und für das Frauenstimmrecht. Sie setzte sich für ein Verbot von Chemie- und Gaswaffen ein, 1915 gründete sie die «Internationale Frauenvereinigung für den dauernden Frieden» mit. Kürzlich ist der Dokumentarfilm «Die Pazifistin» über Gertrud Woker erschienen.
Emilie Gourd
1879–1946
Die Genfer Lehrerin Emilie Gourd gründete 1912 die Frauenzeitschrift «Mouvement féministe» und blieb bis zu ihrem Tod 1946 Chefredaktorin. Gourd war Sekretärin der Internationalen Allianz für Frauenwahlrecht und organisierte 1925 die erste kantonale Ausstellung über die Frauenarbeit in Genf. Sie gehörte zum moderaten Flügel der Suffragettenbewegung, weil sie strikt an der Legalität von Aktionen festhielt. Sie wurde als Vermittlerin zwischen verschiedenen Positionen geschätzt.
Johannes Huber
1879–1948
Wenige Tage nach dem Neuenburger Parteitag (1912), der die SP dazu verpflichtet hatte, «für die Einführung des Frauenstimmrechts zu agieren», reichte der St. Galler SP-Grossrat Johannes Huber die erste Motion für das integrale (vollständige) Frauenstimm- und -wahlrecht in einem Kantonsparlament ein. Der Regierungsrat wandelte sie in einen unverbindlichen Verfassungsartikel für das passive Wahlrecht um, ein Gesetz formulierte er nicht. Huber war Mitgründer der St. Galler SP, verteidigte die Mitglieder des Oltener Aktionskomitees nach dem Landesstreik und kandidierte fünfmal erfolglos für den Bundesrat.
Rosa Bloch-Bollag
1880–1922
Rosa Bloch-Bollag galt als die schweizerische Rosa Luxemburg. Sie war Präsidentin der schweizerischen Arbeiterinnenvereine und sass als einzige Frau im Oltener Aktionskomitee, das 1918 den Schweizer Landesstreik organisierte. Wegen Rosa Bloch war das Frauenstimmrecht im Forderungskatalog des Streikkomitees enthalten. Als Redaktorin für das Blatt «Die Vorkämpferin» schrieb Bloch über die Emanzipation der Frau. Die Bürgerlichen nannten sie verächtlich «Brillanten-Rosa», weil Bloch früher als Verkäuferin in einem Juweliergeschäft gearbeitet hatte.
Annie Leuch-Reineck
1880–1978
Annie Leuch-Reineck studierte Mathematik und Naturwissenschaften an der Universität Bern, promovierte und arbeitete als Gymnasiallehrerin. Ab 1918 präsidierte sie die Sektion Bern des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht. Leuch-Reineck kämpfte auch dafür, dass Frauen ihr Schweizer Bürgerrecht behalten konnten, wenn sie einen Ausländer heirateten. 1928 beteiligte sie sich an der Schweizer Ausstellung für Frauenarbeit.
Léonard Jenni
1881–1967
Léonard Jenni war der Anwalt jener 26 Berner Frauen, die 1923 die Aufnahme in das Berner Stimmregister forderten. Als der Kanton das ablehnte, wandte sich Jenni an das Bundesgericht und verlangte, den Begriff «Schweizer» in der Bundesverfassung auf Frauen auszudehnen. Es war einer von mehreren Versuchen, das Stimmrecht der Frauen mit einer Umdeutung der Verfassung zu erreichen. Damit hätte eine Abstimmung umgangen werden können. Alle diese Versuche scheiterten. Das Bundesgericht lehnte Jennis Forderung mit folgender Begründung ab: «Wenn man nun behauptet, dass der Begriff auch die Schweizer Frauen in sich schliessen sollte, so überschreitet man die Grenzen der zulässigen Interpretation und begeht damit einen Akt, der dem Sinne der Verfassung widerspricht. Die Beschränkung des Stimmrechts auf die männlichen Schweizer Bürger ist ein fundamentaler Grundsatz des eidgenössischen öffentlichen Rechts.»
Charles Schürch
1882–1951
Der Neuenburger Charles Schürch war Uhrenarbeiter, als er den Frauenstimmrechtsverein von La Chaux-de-Fonds mitgründete. Ab 1918 war Schürch Westschweizer Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Der Sozialdemokrat reichte 1917 im Grossen Rat die erste Motion für das Frauenstimmrecht ein. Dies führte zur ersten Abstimmung in einem Schweizer Kanton über die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler und kommunaler Ebene. Die männliche Stimmbevölkerung lehnte 1919 die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene mit 69 Prozent ab.
Margarethe Faas-Hardegger
1882–1963
Als Margarethe Faas-Hardegger 21 Jahre alt war, gründete sie ihre erste Gewerkschaft, den Berner Textilarbeiterverein. Zwei Jahre später wurde sie zur Arbeitersekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes gewählt – als erste Frau. Sie reiste durch die Schweiz, hielt Vorträge, setzte sich gegen Ausbeutung ein. Faas-Hardegger machte das Frauenstimmrecht zu einem gewerkschaftlichen Anliegen, ebenso die Mutterschaftsversicherung und die Idee von bezahlter Hausarbeit. Faas-Hardeggers Überzeugung: «Ich verkehre meistens nur mit den Allerärmsten, den Allerelendesten, den ganz untersten Schichten, in denen wir arbeitenden Frauen liegen – mit den Verzweifelten, für die es Hoffnung, Regung, Leben nur mehr in einer vollständig neuen Gesellschaft gibt.»
Rosa Neuenschwander
1883–1962
Von der Wirtschaftskrise der 1920er-Jahre waren die Frauen am meisten betroffen, wie Werner Seitz in seinem Buch zum Frauenstimmrecht schreibt. Sie wurden zuerst entlassen, sie erhielten zuerst weniger Lohn. Die Berner Schneiderin Rosa Neuenschwander schlug vor, die Bevölkerung mit einer Ausstellung auf diese Not aufmerksam zu machen. Die Idee war sehr erfolgreich, fand in mehreren Städten Nachahmerinnen und mündete schliesslich in der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (Saffa). Diese Saffa war ein materieller und ein moralischer Erfolg, wie die Historikerin Susanne Woodtli schreibt: «Die Frauen hatten ein neues Stück Selbstbewusstsein erlangt, einen weiteren Schritt zur Verwirklichung ihrer Identität getan.»
Elisabeth Vischer-Alioth
1892–1963
1918 beteiligte sich Elisabeth Vischer-Alioth an der Gründung der Basler Frauenzentrale, ab 1920 schrieb sie als Journalistin über politische Gleichberechtigung und andere Anliegen von Frauen. Zwischen 1935 und 1951 hielt Vischer-Alioth zahlreiche Vorträge zur Organisation der politischen Arbeit von Frauen und gab Kurse, um Frauen auf ihre politische Teilhabe vorzubereiten. Kurt Jenny schrieb im «Basler Stadtbuch»: «Auch die Gegner des Frauenstimmrechts konnten sich der überzeugenden Kraft und der Lauterkeit Elisabeth Vischers nicht verschliessen. (...) So gelang es ihr, männliche Vorurteile gegenüber dem Auftreten der Frauen im öffentlichen Leben durch ihr beispielhaftes Verhalten als unbegründet zu entkräften.»
Herman Greulich
1842–1925
«Der Bundesrat wird eingeladen, Bericht und Antrag einzubringen über die verfassungsmässige Verleihung des gleichen Stimmrechts und der gleichen Wählbarkeit an die Schweizerbürgerinnen wie an die Schweizerbürger» – so lautete die Motion von Herman Greulich, eingereicht kurz nach dem Generalstreik am 4. Dezember 1918. Greulich, in Schlesien geboren, arbeitete als Buchbinder, Redaktor der «Tagwacht» und ab 1887 als erster vollamtlicher Arbeitersekretär der Schweiz. Greulich gründete verschiedene Gewerkschaften und die erste sozialdemokratische Partei der Schweiz (die allerdings keinen Bestand hatte). Zeit seines Lebens engagierte er sich für sozialpolitische Anliegen und das Frauenstimmrecht.
Emil Göttisheim
1863–1938
Einen Tag nach Herman Greulich reichte auch Emil Göttisheim im Nationalrat eine Motion ein, mit welcher der Bundesrat eingeladen wurde, die Einführung des Stimmrechts für die Frauen zu prüfen. Es waren die ersten beiden Vorstösse auf nationaler Ebene. Sie wurden vom Nationalrat «stillschweigend für erheblich» erklärt, in Postulate umgewandelt und danach vergessen. Göttisheim war ein freisinniger Richter aus Basel. Neben dem Frauenstimmrecht setzte er sich politisch auch für mehr Kinderschutz ein.
Antoinette Quinche
1896–1979
Antoinette Quinche war die erste selbstständig praktizierende Anwältin im Kanton Waadt. Sie gründete die FDP-Frauengruppe Lausanne und war Mitglied der eidgenössischen Expertenkommission, die sich mit der Revision des Bürgerrechts befasste. 1952 verlangten Quinche und andere Frauen, dass sie ins Stimmregister ihrer Gemeinde eingetragen werden und den Stimmausweis bekommen. Die Gemeinden lehnten ab, und Quinche ging vor Bundesgericht. Das Gericht lehnte Quinches Klage ab mit der Begründung, die Tradition wiege höher als die in der Verfassung verankerte Rechtsgleichheit.
Lotti Ruckstuhl-Thalmessinger
1901–1988
Lotti Ruckstuhl-Thalmessinger wuchs in Südafrika auf und studierte an der Universität Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. 1933 erhielt sie das Patent als Rechtsanwältin und trat dem Schweizerischen Verband der Akademikerinnen sowie dem Schweizerischen Katholischen Frauenbund bei. Von 1960 bis 1968 war Ruckstuhl Präsidentin des Verbands für Frauenstimmrecht und setzte sich dafür ein, dass auch andere Ungerechtigkeiten in der Gesetzgebung beseitigt wurden. Ruckstuhl erreichte unter anderem die erleichterte Einbürgerung der Kinder von Schweizerinnen, die mit Ausländern verheiratet sind.
Alix Choisy-Necker
1902–1979
Aufgewachsen in grossbürgerlichen Verhältnissen in Genf, beteiligte sich Alix Choisy-Necker am Kampf für das Frauenstimmrecht. 1952 leitete sie das Aktionskomitee für die Probeabstimmung unter den Genfer Frauen über die Einführung des Frauenstimmrechts. Die Frauenbefragung zeigte deutlich, dass die Frauen die Ausübung politischer Rechte verlangten. Als 1953 das kantonale Frauenstimmrecht abgelehnt wurde, beteiligte sich Choisy-Necker an der Protestversammlung in Genf.
Hulda Authenriet-Gander
1913–2006
Als erstes Mädchen besuchte sie das Knabengymnasium in Schiers, dann studierte sie Jura und promovierte zu Armenpflege in der Schweiz. Von 1953 bis 1974 präsidierte sie die Frauenzentrale in Zürich.
Hilda Lehmann
1913–2015
Nachdem die Zürcher Männer 1966 erneut das Frauenstimmrecht abgelehnt hatten, trat Authenriet-Gander vor die Presse: «Wo es um Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde geht, tritt Ruhe erst ein, wenn die Forderungen erfüllt sind.» Und nach der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 sagte sie, sie verschaffe sich «Blick zu den nächsten Höhen».
Gertrud Heinzelmann
1914–1999
Gertrud Heinzelmann war Rechtsanwältin. Sie befasste sich in ihrer Dissertation mit der Stellung der Frau in der Kirche, ein Theologiestudium blieb ihr als Frau verwehrt. 1959 und 1960 war Heinzelmann Präsidentin des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht. 1962 forderte sie mit einer Eingabe beim 2. Vatikanischen Konzil die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Frauenordination in der katholischen Kirche. Wegen ihrem Ruf nach Priesterinnen erregte Heinzelmann weltweit Aufmerksamkeit und wurde massiv angefeindet. Als 1971 das Frauenstimm- und -wahlrecht eingeführt wurde, hatte Heinzelmann ein nächstes Ziel: einen Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung zu verankern.
Peter von Roten
1916–1991
War der Ehemann von Iris von Roten und ein konservativer Nationalrat aus dem Wallis. Zum Ärger seiner Partei reichte er 1949 ein Postulat ein, mit dem der Bundesrat aufgefordert wurde, den Weg zur Ausweitung der politischen Rechte für die Frau aufzuzeigen. In der Begründung regte von Roten an, das Stimmrecht mit einer Neuinterpretation der Verfassung zu erreichen – nicht mit einer Verfassungsänderung, die eine Abstimmung nötig gemacht hätte. Ein Männerkollektiv werde sich nicht dazu hergeben, auf ein bestehendes Privileg zu verzichten, meinte von Roten. Eine Biografie über das Ehepaar von Roten trägt den Titel «Verliebte Feinde».
Iris von Roten
1917–1990
«Als man die alten Herrschaftsverhältnisse abgeschafft hatte und sogar eine neue Zeitrechnung begann, blieb eines beim alten: die staatsrechtliche Untertanenschaft der Frauen.» Iris von Roten war Journalistin und Juristin. Im Jahr 1958 veröffentlichte sie das Buch «Frauen im Laufgitter», das von der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen handelte. Von Roten behandelte verschiedenste Lebensbereiche – den Beruf, die Liebe, den Haushalt, die Sexualität und auch die Politik. Sie verlangte «radikale Gleichberechtigung» und kritisierte die politische Unmündigkeit der Schweizer Frauen. Für ihr Buch wurde von Roten heftig angefeindet, ihre Thesen wurden ins Lächerliche gezogen. Ein Jahr nach Erscheinen des Buchs stimmten die Schweizer Männer zum ersten Mal über das Frauenstimmrecht ab und sagten deutlich Nein.
Elisabeth Schmid-Frey
1917–2012
Sie engagierte sich für die gleichen Rechte für Frau und Mann, 1966 wurde sie Präsidentin des Bernischen Frauenbundes. Ihre Tochter schreibt: «Nach dem abgeschlossenen Jusstudium arbeitete meine Mutter bei der Preiskontrolle in Montreux. Als sie dort vorgestellt wurde, meinte einer, er kenne sie vom Studium! Sie war erstaunt, er sagte: ‹Jo die paar Froutscheni ar Uni het me jo scho kennt!› Es war der spätere Bundesrat Rudolf Gnägi!»
Paul Zenhäusern
1917–2002
Paul Zenhäusern war Mitglied der Christlich-sozialen Partei und Gemeindepräsident im Oberwalliser Dorf Unterbäch. 1957 erteilten er und seine Ratskollegen den Frauen ein einmaliges Stimmrecht, weil eine eidgenössische Vorlage Frauen direkt betraf: die Einführung des obligatorischen Zivildienstes für Frauen. Seit diesem medienwirksamen Urnengang bezeichnet sich Unterbäch als «das Rütli der Schweizer Frau».
Katharina Zenhäusern
1919–2014
1957 legte Katharina Zenhäusern als erste Frau in der Schweiz einen Stimmzettel in die Urne – 14 Jahre vor der Einführung des Frauenstimmrechts. Auf nationaler Ebene wurde über einen obligatorischen Zivildienst für Frauen abgestimmt, und das Oberwalliser Dorf Unterbäch befand trotz Veto des Kantons: Frauen müssen sich dazu äussern dürfen. 33 der 84 stimmberechtigten Unterbächerinnen warfen ihren Stimmzettel ein, obwohl sie beschimpft und diffamiert wurden. Die Stimmzettel der Frauen wurden in einer separaten Urne gesammelt und später vom Kanton für ungültig erklärt. Katharina Zenhäusern, Ehefrau des damaligen Gemeindepräsidenten Paul Zenhäusern, sagte, es habe sich trotzdem gelohnt. «Jemand musste ja mal anfangen.»
Lydia Benz-Burger
1919–2008
Benz-Burger war Germanistin und Journalistin. Als Gemeinderätin der Stadt Zürich reichte sie in den 70er-Jahren Vorstösse für gleiche Schul- und Berufsbildung beider Geschlechter ein. 1975 initiierte sie die erste Frauenliste für die Nationalratswahlen, zwischen 1975 und 1981 war sie Präsidentin des Initiativkomitees «Gleiche Rechte für Mann und Frau». Benz-Burger hatte sich gewünscht, eines Tages «mit ihren Kameradinnen zusammen» abstimmen gehen zu können.
Kleine Öffnung an der Glarner Landsgemeinde
1967
Die Glarner Landsgemeinde nähert sich 1967 dem Ende, als der Antrag von Max Ochsner, Oberurnen, behandelt wird: Er möchte den Frauen das Stimm- und Wahlrecht gewähren – allerdings beschränkt auf die Kirchen-, Schul-, Fürsorge- und Waisenbehörden in den Gemeinden. Ochsners Begründung: Die Frau sei in erzieherischer, fürsorgerischer und religiöser Hinsicht feinfühliger als der Mann. Aber wenn eine Frau nicht wählen könne, werde sie auch nicht gewählt. Zweimal muss die Landsgemeinde ausmehren, dann steht fest: Max Ochsners Antrag ist angenommen.
Andrée Valentin
*1944
Die verschiedenen Stimmrechtsvereine in der Schweiz agierten oft sehr zurückhaltend und behutsam – sie wollten den Männern nicht zu stark auf die Füsse treten. In den 1960er-Jahren geriet diese Strategie zunehmend unter Druck. Junge Frauen wollten nicht mehr länger warten. Junge Frauen wie Andrée Valentin. Als der Zürcher Frauenstimmrechtsverein im November 1968 sein 75-jähriges Bestehen feierte, stürmte Valentin, Präsidentin der Fortschrittlichen Studentenschaft, die Bühne und ergriff das Mikrofon: «Meine Damen», rief sie ins Publikum, «wir sollten nicht jubilieren, sondern protestieren und diskutieren!» Sie seien das «Horrorszenario der damaligen Frauenstimmrechtsbewegung» gewesen, erzählte Valentin der NZZ später. Den Frauen in Zürich sagte sie: «Noch immer müssen wir um das Frauenstimmrecht kämpfen, nein, betteln. Um ein Recht, das die Frauen in anderen Ländern seit 50 Jahren ausüben. Das macht uns zum Gespött der ganzen Welt.» Andrée Valentin steht für den neuen Ton in der Frauenfrage, der ab den 60er-Jahren Einzug in der Schweiz hielt.
Emilie Lieberherr
1924–2011
Am 1. März 1969 gab es auf dem Bundesplatz in Bern ein Pfeifkonzert. 5000 Frauen und Männer hatten sich versammelt und forderten die sofortige Verwirklichung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen auf allen politischen Ebenen. Angeführt wurde die Menge von Emilie Lieberherr, der Präsidentin des Aktionskomitees für den Marsch nach Bern. Lieberherr trat der SP bei und war von 1970 bis 1994 die erste Zürcher Stadträtin. Als Vorsteherin des Zürcher Sozialamts initiierte sie die Heroinabgabe an Schwerstsüchtige, liess mehr als 20 Altersheime bauen, richtete in den Quartieren Jugendtreffpunkte ein. Von 1978 bis 1983 sass sie für den Kanton Zürich im Ständerat. Seit vergangenem Jahr ist ein Platz an der Zürcher Langstrasse nach Emilie Lieberherr benannt.
Kursaal
1. März 1969
Als sich 5000 Frauen und Männer am 1. März 1969 auf dem Bundesplatz in Bern versammelten und die sofortige Verwirklichung des Stimmrechts für Frauen verlangten, fanden sich gemässigtere Frauenrechtlerinnen im Berner Kursaal ein. Frauen wie Yvonne Darbre-Garnier (1901–1990), Kunigund Feldges-Oeri (1911–1997), Rolande Gaillard (1909–2006) und Jeanne-Marie Perrenoud-Bindit (1914–2013). Laut Historikerin Franziska Rogger hatten sie eine schwierige Aufgabe: Sie mussten «Katholikinnen, Evangelische Frauen und Stimmrechtlerinnen, die an eine Einführung des Frauenstimmrechts nur durch Bundesgerichtsentscheid glaubten, auf die richtige Stimmrechtsspur bringen».
Lise Girardin
1921–2010
Die Genfer FDP-Politikerin Lise Girardin kam an manchem Ort als Erste an. Girardin war eine der ersten Frauen, die in ein Kantonsparlament gewählt wurden (1961), die erste Schweizer Stadtpräsidentin (1968, 1972, 1975), die erste Schweizer Ständerätin (1971). Girardin sagte einmal: «Ich habe das Gefühl, mein Leben damit verbracht zu haben, Türen zu öffnen und immer weiter zu gehen.» Als einzige Frau im Ständerat sei sie sich manchmal wie im Zoo vorgekommen – Lehrer hätten während Bundeshausbesichtigungen auf sie gezeigt. Kürzlich wurde in Genf der Place de Vingt-Deux-Canton in Place Lise-Girardin umbenannt.
Die ersten Nationalrätinnen
Im Dezember 1971 werden die Frauen zum ersten Mal im Bundeshaus sichtbar. 11 Nationalrätinnen und eine Ständerätin nehmen ihre Arbeit in Bern auf. Hedi Lang-Gehri (1931–2004) machte drei Legislaturen für die SP. 1981 wurde sie als zweite Frau zur Nationalratspräsidentin gewählt. Martha Ribi-Raschle (1915–2010) absolvierte drei Legislaturen für die FDP, sie war von 1973 bis 1983 Vizepräsidentin der FDP. Josi Meier (1926–2006) war drei Legislaturen für die CVP im Nationalrat. 1983 wurde die Luzernerin in den Ständerat gewählt. Elisabeth Blunschy-Steiner (1922–2015) war die erste Nationalratspräsidentin der Schweiz. Sie war Mitglied der CVP und für vier Legislaturen im Nationalrat. Lilian Uchtenhagen (1928-2016) war fünf Legislaturen für die SP im Nationalrat. 1983 ging sie als erste Frau und als Kandidatin ihrer Partei in die Bundesratswahlen. Die vereinigte Bundesversammlung wählte aber lieber Otto Stich. Liselotte Spreng (1912-1992) war drei Legislaturen lang Nationalrätin für die FDP. Zu Beginn der 70er-Jahre war sie Präsidentin des Freiburger Verbands für das Frauenstimmrecht. Hanny Thalmann (1912–2000) absolvierte zwei Legislaturen für die CVP und engagierte sich für die Mutterschaftsversicherung. Gabrielle Nanchen (*1943) war von 1971 bis 1979 für die SP im Nationalrat. Als die gebürtige Waadtländerin zu ihrem Walliser Ehemann zog, verlor sie das kantonale Stimmrecht. Als Reaktion auf diese Ungerechtigkeit ging sie in die Politik. Tilo Frey (1923–2008) sass eine Legislatur lang für die FDP im Nationalrat. Sie hatte eine kamerunische Mutter und war damit auch die erste Schwarze im Bundeshaus. Nelly Wicky (1923–2020) wurde für die Partei der Arbeit in Genf in den Nationalrat gewählt. Sie blieb eine Legislatur. In Genf sass sie während dreissig Jahren im Stadtparlament. Hanna Sahlfeld-Singer (*1943) war Pfarrerin und SP-Nationalrätin. Nach der Wahl musste sie auf ihr Pfarramt verzichten. Nach erfolgter Wiederwahl trat sie auf Ende 1974 zurück, weil ihr Mann wegen ihres politischen Engagements keine Arbeit mehr fand. Die Familie zog nach Deutschland.
Marthe Gosteli
1917–2017
Der Kampf der Schweizer Frauen sei eine der «grössten Freiheitsbewegungen des letzten Jahrhunderts» gewesen, sagte Marthe Gosteli einmal. «Und sie war erst noch unblutig.» Gosteli wurde in einer Bauernfamilie im Kanton Bern geboren und widmete ihr Leben dem Stimm- und Wahlrecht für die Frauen in der Schweiz. Als Präsidentin des Bundes Schweizer Frauenorganisationen spielte sie 1971 eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen über das Frauenstimmrecht mit dem Bundesrat. Nach geschlagener Schlacht gründete sie das Archiv zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung und später die Gosteli-Stiftung. Die Stiftung ist das eigentliche historische Gedächtnis der Schweizer Frauenbewegung.
Hans Oprecht
1894–1978
Der Präsident der Schweizer Sozialdemokraten forderte 1944 das gleiche wie Herman Greulich und Emil Göttisheim 30 Jahre zuvor: In einem Postulat wurde der Bundesrat eingeladen, «zu prüfen, ob nicht verfassungsrechtlich das Frauenstimm- und -wahlrecht zu gewährleisten sei». Mit seinem Postulat wollte Oprecht verhindern, dass die Arbeit seiner Vorgänger im Papierkorb verschwinden würde. Der Nationalrat stimmte 1951 für eine eidgenössische Abstimmungsvorlage für das Frauenstimmrecht, der Ständerat lehnte sie allerdings ab. Die erste nationale Abstimmung fand erst 1959 statt.
Kollektiv der Basler Lehrerinnen
Der Brief war kurz und höflich: «Sehr geehrter Herr Rektor, ich teile Ihnen mit, dass die Lehrerinnen des Mädchengymnasiums Dienstag, den 3. Februar 1959 aus Protest gegen die neuerlich do­kumentierte Missachtung unseres staatsbürgerlichen Rechtsanspruchs streiken werden.» Der Streik der Basler Lehrerinnen fand drei Tage nach der ersten nationalen Abstimmung über das Frauenstimmrecht statt, dauerte nur einen Tag und beschäftigte die Stadt noch Wochen später. Der Regierungsrat verurteilte den Streik aufs «Schärfste» und wollte die Frauen diszipliniert sehen, es gab Interpellationen im Grossen Rat und Aktionen an der Fasnacht. Die streikenden Frauen bereuten ihre Aktion nicht. Sie habe eine «heilsame Aufmerksamkeit» für die Sache des Frauenstimmrechts erregt.
Emma Kammacher
1904–1981
Emma Kammacher stammte aus einfachen Verhältnissen, machte in den 30er-Jahren das Anwaltspatent und engagierte sich im Genfer Frauenstimmrechtsverein. In Genf erhielten Frauen das kantonale Stimmrecht im Jahr 1960. Daraufhin wurde Kammacher 1961 gemeinsam mit acht Frauen in den Genfer Grossrat gewählt. 1965 war sie die erste Frau, die eine kantonale Legislative präsidierte. Im gleichen Jahr rekurrierte Kammacher mit über 500 anderen Frauen gegen die Weigerung der Genfer Regierung, sie an eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen teilhaben zu lassen.
Marie Boehlen
1911–1999
Als sie zum Ende ihres Lebens für ihren Einsatz geehrt wurde, sagte Marie Boehlen, dass sie sich mit ihrem Engagement oft «verhasst» gemacht und mehr Niederlagen als Erfolge eingesteckt habe. Dennoch habe sie in bescheidenem Masse zu einem grossen gesellschaftlichen Wandel beigetragen: der «Wandlung einer Beziehung der Unter- und Überordnung in eine Beziehung der gleichwertigen und gleichberechtigten Partnerschaft zwischen den Geschlechtern». Auf einem Bauernhof im Bernbiet geboren, ging Boehlen an die Uni, studierte Recht und wurde die erste vollamtliche Jugendanwältin der Schweiz. Sie präsidierte den Berner Frauenstimmrechtsverein, die SP Frauen und die juristische Kommission des Bundes Schweizerischer Frauenorganisationen. Nach dem Ja zum Frauenstimmrecht liess sich Boehlen 1971 vorzeitig pensionieren und widmete sich danach ausschliesslich der Politik.
Bericht «Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft»
1974
Mit dem Ja zum Frauenstimmrecht im Jahr 1971 war der Kampf der Schweizer Frauen um Gleichberechtigung nicht abgeschlossen. Drei Jahre nach der Abstimmung veröffentlichten die beiden Soziologen Thomas Held und René Levy im Auftrag der Schweizerischen Unesco-Kommission den Bericht «Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft». Er belegte die untergeordnete Stellung der Schweizer Frauen in fast allen Lebensbereichen und löste eine unerwartet heftige Reaktion aus.
Alma Zeli-Bacciarini
1921–2007
Die Tessinerin Alma Zeli-Bacciarini studierte in Zürich französische und italienische Literatur und arbeitete in Genf als Mittelschullehrerin. Sie war Mitglied und Präsidentin zahlreicher Organisationen, die sich für Frauenrechte und Frauenförderung einsetzten. Nachdem 1971 das Frauenstimmrecht eingeführt wurde, sass Zeli-Bacciarini für die FDP im Gemeinderat von Breganzona und im Tessiner Grossen Rat und war von 1979 bis 1983 die erste Tessiner Nationalrätin.
Elisabeth Kopp
*1936
«Est élue avec 124 votes: Madame Kopp!» Jubel im Saal. Am 2. Oktober 1984, 13 Jahre nach Annahme des Frauenstimmrechts, wird zum ersten Mal eine Frau in den Bundesrat gewählt. Elisabeth Kopp ist studierte Juristin, war im Gemeinderat von Zumikon und Nationalrätin für die FDP. Ihre männlichen Kollegen im Bundesrat nahmen sie als Störfaktor im Gremium wahr, erzählte Kopp später, und waren neidisch auf ihre grosse Medienpräsenz. Die erste Amtszeit einer Bundesrätin endet mit einem Skandal: Nachdem Kopp ihrem Mann den Rücktritt aus einem Verwaltungsrat nahegelegt hatte, wurde sie der Amtsgeheimnisverletzung bezichtigt und trat nach einer medialen Schlammschlacht zurück. Später sprach das Bundesgericht Kopp vom Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung frei. Nach ihrer Zeit im Bundesrat engagierte sich Elisabeth Kopp für verschiedene Themen – die Mutterschaftsversicherung, den UNO-Beitritt der Schweiz, den Umweltschutz.
Theresia Rohner
*1954
Töpferin, Unternehmerin, Mutter zweier Töchter – und auch nach 1971 noch ohne Stimmrecht. Theresia Rohner wohnte in den 1980er-Jahren in Appenzell Innerrhoden und zwang dem Kanton jenen Bundesgerichtsprozess auf, der 1990 mit der Einführung des Frauenstimmrechts im Appenzellischen endete. Rohner bezahlte einen hohen Preis für ihr Engagement. Sie wurde belästigt, bedroht, musste Polizeischutz beantragen. Rohner zog sich danach aus der Öffentlichkeit zurück und hat nur selten über ihren erfolgreichen Kampf Auskunft gegeben.
Christiane Brunner
*1947
Die ehemalige SP-Präsidentin und Gewerkschafterin aus Genf hätte 1993 eigentlich die zweite Frau im Bundesrat werden sollen. Nach einer üblen Kampagne gegen Brunner versuchte die Vereinigte Bundesversammlung den gleichen Trick wie zehn Jahre zuvor bei Lilian Uchtenhagen: Sie wählte statt der Frau einen Mann. Dieses Mal ging es aber nicht auf: Nach massivem öffentlichen Protest verzichtete der gewählte Francis Matthey und machte Platz für Ruth Dreifuss. Der Wirbel um die Bundesratswahlen von 1993 hatte den «Brunner-Effekt» zur Folge. Mehr Frauen interessierten sich für eine aktive Teilnahme in der Politik, und gleichzeitig machte die Gleichstellungspolitik grosse Fortschritte. Das Gleichstellungsgesetz (1995), die Fristenlösung (2002) und die Mutterschaftsversicherung (2005) wären ohne den Druck der Frauen nach der ungerechten Behandlung von Christiane Brunner kaum möglich gewesen.

Zum Beitrag

Bei den genannten Heldinnen und Helden handelt es sich um eine Auswahl. Ein grosser Dank für die Unterstützung geht an Historikerin Brigitte Studer von der Universität Bern.

Quellen

Historisches Lexikon der Schweiz. Werner Seitz: «Auf die Wartebank geschoben – Der Kampf um die politische Gleichstellung der Frauen in der Schweiz seit 1900». Liselotte Lüscher: «Eine Frau macht Politik. Marie Boehlen 1911–1999». Léonard Jenni: «Selon l’ordre juridique existant, les droits civiques appartiennent-ils aux femmes suisses, oui ou non?» Genève 1928.